NARJESUS erweitert den Horizont – Blog

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Schlagwort-Archiv: Storytelling

Church Resource Ministries (CRM) – ein weiteres emergent-missionales Missionswerk

Vor etwa einem halben Jahr berichtete ich hier im Blog über drei in Europa aktive, schon langjährig bestehende und doch „seltsam unbekannte Missionswerke“, auf die ich bei meinen Nachforschungen zur Emergenten Bewegung immer wieder gestoßen bin und die sich als treibende Kräfte bei der Emergentisierung und Postmodernisierung des christlichen Glaubens in Europa sowie der Propagierung einer Vorverlagerung der gesellschaftlichen Verheißungen des messianischen Friedensreichs als „Königreich Gottes“ in die Jetztzeit erwiesen haben.

Weitere in der Zwischenzeit von mir gewonnene Erkenntnisse deuten darauf hin, daß diese Trias aus CAI (Christian Associates International), GEM (Greater Europe Mission) und OCI (One Challenge International) um ein viertes derartiges Missionswerk erweitert werden muß, nämlich „Church Resource Ministries“ (CRM).

CRM wurde 1980 von mehreren durch die „Navigatoren“ geprägten Christen mit der Absicht gegründet, der Vernachlässigung des Jüngerschaftstrainings in den Ortsgemeinden entgegenzuwirken und die Ortsgemeinden wieder zum wesentlichen Träger der Weltmission und -evangelisation zu machen, und stand in den Gründerjahren stark unter dem Einfluß der Gemeindewachstumsbewegung um C. Peter Wagner und des Fuller Theological Seminary (School of World Mission, Institute of Church Growth). Seit der Jahrtausendwende hat sich das mittlerweile in die vier Dienstbereiche

  • ChurchNext,
  • Ethne,
  • Missionale Kommunitäten und
  • Orden

gliedernde Missionswerk, das im Rahmen des „CoNext-Netzwerks“ seit einigen Jahren auch ein Netzwerk von Partnerorganisationen in verschiedenen Ländern aufbaut, zu einem bedeutenden Förderer von Emergentisierungstendenzen und der Ausbreitung emergent-postmodernistischen Gedankenguts in der christlichen Szene weltweit entwickelt.

Während CAI die Emergentisierung der christlichen Szene hauptsächlich durch Gemeindepioniermission, die Initiative „ServeTheCity“ sowie die theologische Hintergrundarbeit von Andrew Perriman (TREK, Amahoro Africa, P.OST) vorantreibt und GEM sich hierzu strategisch wichtiger Positionen in europäischen „Parachurch“-Organisationen (Deutscher Runder Tisch für Gemeindegründung, European Missions Research Group) bedient, arbeitet CRM hierauf anscheinend vor allem durch Schaffung postmodernistisch orientierter, oft stark kontemplativ geprägter emergent-missionaler Kommunitäten („Neues Mönchtum“) hin, die unter anderem der Formung künftiger emergenter Leiter dienen und eine „versöhnend-erlösende (‚heilandige‘) Präsenz“ missional-inkarnatorischer Art in der lokalen Gesellschaft darstellen sollen. In diesen trifft man gelegentlich auch auf bekanntere Namen der emergenten Szene.

Diese bekannteren Namen waren es auch, die mich auf die Spur des CRM-Arbeitszweiges „NieuCommunities“ führten, durch den das ganze Werk überhaupt erst in mein Blickfeld geriet. So war etwa niemand Geringeres als Roger Saner, langjähriger Leiter von Emergent South Africa, der maßgeblich an der Verwirklichung von Amahoro Africa beteiligt war, bekennender NLP-Master-Practitioner und einer der schillerndsten, agilsten und subversivsten Akteure der weltweiten Emergenten Bewegung der letzten 6 Jahre, für die Dauer des Jahres 2008 Mitglied („Apprentice“) der NieuCommunities Pangani im südafrikanischen Pretoria:

[…]

I live at Pangani, the name of a guesthouse which Nieu Communities a new monastic community in Pretoria North is based out of. I’m documenting some of this journey at my Beyond the Boerewors Curtain blog. I’m deeply interested in the Church in South Africa – both its history in supporting and condemning Apartheid and its future as we work towards the kingdom of heaven coming here on earth. I blog about these things at FutureChurch.

I’m part of a group of missionally-minded forward-thinking people called the emerging church conversation. Although much of this conversation happens face-to-face, the Emerging Africa website helps facilitate some of this.

[…]

I’m a certified NLP practitioner (doing Masters in August [2008]) and am thinking of become an Adobe Certified Instructor (ACI) in Photoshop CS3. This ties into my plan for world domination in 2009, which involved moving between Pretoria, Joburg and Cape Town for the year. The ACI will add some training abilities to my skillset.

(aus: burningdog.co.za (Roger Saner), „My Life“ – Stand 2008)

Eine weitere interessante Gestalt in diesem Kontext ist Jon Huckins von NieuCommunities San Diego (Kalifornien, USA), Pastor und Missionar und einer der führenden Köpfe dieses CRM-Arbeitszweiges. Jon Huckins schreibt gelegentlich für die einschlägigen emergenten Websites TheOoze und Red Letter Christians und ist auch als Buchautor zu Themen emergenter Gemeindepraxis in Erscheinung getreten. In der 2007-2009 zu Zondervan gehörenden emergenten Edition YouthSpecialties (YS) ist von Jon Huckins der vor allem auf die Jugendarbeit abzielende Buchtitel „Teaching Through the Art of Storytelling: Creating Fictional Stories that Illuminate the Message of Jesus“ erschienen, der von Dan Kimball, einer führenden Persönlichkeit der internationalen emergenten Szene, nicht nur empfohlen wird, sondern zu dem er sogar das Vorwort geschrieben hat.

Jon Huckins propagiert in seinem Buch das Storytelling-Paradigma, indem er  zum Kommunizieren durch Kreieren fiktiver Stories anleitet und das hinter diesem Paradigma stehende Gedankengut theologisch-philosophisch zu rechtfertigen versucht. Das Problem hierbei ist nicht das Geschichtenerzählen an sich (das hat Jesus auch getan, und nicht zu knapp), sondern das Schaffen und Fördern einer postmodernismuskonformen Kultur, die dem als Basis für begründete Entscheidungen wichtigen Finden, Herausarbeiten und Bündeln von Wahrheit und Erkenntnis mittels Reflexion, Analyse, Strukturierung, Systematisierung und Formulierung von präzisen Aussagen großflächig den Rücken kehrt und stattdessen ihr Leben „in Stories eingetaucht“ leben will ( mein Posting „Storytelling – das Wundermittel der ’neuen Zeit‘ zur sanften Abschaffung der Realität und des Denkens“ für eine vertiefende Erörterung dieses Themas). Nun ist Jon Huckins beileibe nicht der einzige Storytelling-Befürworter bei CRM. Vielmehr trifft man bei CRM auf Schritt und Tritt auf Leute, die sich als „Storyteller“ bezeichnen und die entsprechende „Denke“ an den Tag legen und verbreiten.

Mit dem so gewonnenen Eindruck, daß CRM oder wenigstens Teile davon massiv die Emergente Bewegung unterstützen, selbst einen Teil von ihr darstellen und ein postmodernistisch verändertes Christentum propagieren, bin ich offenbar nicht allein, wie meine weiteren Nachforschungen im Internet rasch zeigten, denn der seit 1985 amtierende CRM-Präsident Sam Metcalf reagierte Anfang 2008 auf seinem Blog „Under The Iceberg“ mit einer vielsagenden Replik auf immer wieder lautgewordene Kritik an CRM für den pro-emergenten Kurs dieses Werkes und sein teilweise stark kontemplatives Gepräge, welches sich beispielsweise an der zum CRM-Arbeitszweig ChurchNEXT gehörenden und auf das Coaching christlicher Leiter zielenden Kommunität „Imago Christi“ manifestiert: Hinter dem berechtigten Anliegen, christliche Leiter in eine wieder erneuerte Liebesbeziehung mit Gott zu bringen und hieraus ihren Dienst tun zu lassen, verbirgt sich ein „Spiritual Formation“-Prozeß, der in zentraler Weise Gedankengut und Konzepte der Mystikerin Teresa von Avila wie die „Sieben Wohnungen der inneren Seelenburg“ benutzt.

In besagter Replik von Sam Metcalf finden sich zunächst die üblichen Ausflüchte, die einem auch sonst überall dort begegnen, wo man sich nicht klar von emergenten Netzwerken und Beratern abgrenzen will, nämlich daß die Emerging Church theologisch sehr breit gefächert und keineswegs monolithisch sei, daß einige ihrer theologischen Einsichten gut und andere weniger gut seien, daß Emergent Village nur ein Teil der Bewegung und nicht repräsentativ sei etc., während das eigentliche die Kritik hervorrufende Hauptmerkmal der Emergenten Bewegung, nämlich die propagierte Unterwerfung des christlichen Glaubens unter den Postmodernismus als obersten Deuterahmen, geflissentlich übergangen wird. Dann bringt er jedoch Sätze, die man fast überlesen könnte, in denen er es aber an Klarheit nicht fehlen läßt:

But overall, I personally believe this is a movement of God which stands squarely in the flow of the great, historical renewal movements of the past 2000 years.

[…]

Regardless, CRM is committed to serve the emerging church and to help in any way possible to develop and empower the leadership of this movement.

[…]

In many respects, the emerging church movement is profoundly biblical.

(aus: Sam Metcalf, Blog „Under The Iceberg“, Posting „Backlash to the Emerging Church“ vom 30.01.2008 )

Viele weitere Postings auf „Under the Iceberg“ belegen die eindeutig pro-emergente Haltung von Sam Metcalf und CRM. So arbeitet CRM mit den in emergenten Kreisen weltweit bekannten Referenten Alan Hirsch und Michael Frost (Forge Australia) zusammen; ferner verteidigt Sam Metcalf Brian McLaren und die große Linie in seinem Gesamtwerk, preist ihn für seinen weltanschaulich-geschichtlichen „Durchblick“ und bedauert lediglich die 5% seiner Äußerungen, für die er zurecht Prügel beziehen würde, die er aber auch durch andere Argumente hätte ersetzen können; ebenso verteidigt Metcalf das stark mit kontemplativer Mystik durchsetzte „Neue Mönchtum“, indem er es mit der Lebensgemeinschaft der Urgemeinde sowie in protestantischen Erweckungsbewegungen gleichsetzt und als „apostolische Struktur“ bezeichnet. All dies macht klar, daß es sich bei CRM in der Tat um ein weiteres emergent-missionales Missionswerk, genauer gesagt: ein emergent-missional-kontemplatives Missionswerk handelt.

CRM ist übrigens auch in Deutschland aktiv, und die Deutschland-Aktivitäten unterstreichen die eben gegebene Einschätzung. Neben dem Arbeitszweig „Ethne Germany“, der durch ein nach Kandern im Südschwarzwald (wo sich die 1956 vom Janz-Team gegründete Black Forest Academy befindet) ausgesandtes Ehepaar verkörpert wird, wirkt CRM in Deutschland vor allem über die anfangs erwähnte CoNext-Schiene gleichgesinnter CRM-Partnerorganisationen:

There are currently CoNext partners in these nine locations:

  • Australia
  • Canada
  • Germany (Mateno – click here for the English site)
  • Hungary (Barnabas Csoport)
  • Korea
  • The Middle East
  • Nigeria (Harvest Leaders‘ Network)
  • United Kingdom
  • Venezuela

(aus: CRM Empowering Leaders: The CoNext Network)

Deutscher CoNext-Partner von CRM ist die 2008 gegründete Vereinigung „mateno“, die von Mark Reichmann („Pfaffe 3000“), Gründer und langjähriger Leiter der Kubik-Gemeinschaft Karlsruhe und Urgestein der deutschsprachigen Emergent-Szene ( Übersicht Emergent Deutschland), geleitet wird und zu deren Leitung darüber hinaus auch wesentliche Teile der emergenten Künstlergemeinschaft „motoki-Kollektiv“ aus Köln-Ehrenfeld gehören. mateno betreibt die Projekte

  • Lebensgemeinschaft Bethanien, ein „Zentrum für ganzheitliches Leben und Spiritualität am Stadtrand von Karlsruhe“
  • FROH! Magazin, ein emergentes Gesellschaftsmagazin
  • 7sterne Buch- und Kunst-Edition
  • hellwach Fastenzeit-Aktion

und vereint praktisch die Projekte und ihre Ideengeber in Form einer emergenten Multi-Site-Kommunität mit Standorten in Karlsruhe, Köln-Ehrenfeld und Krefeld. Daß sich der eine oder andere mateno-Mitstreiter auf seinem Profil auch als „Storyteller“ bezeichnet, dürfte nach dem weiter oben Gesagten kaum noch überraschen. Erklärtes Ziel von mateno ist es, im Sinne einer diffusen postmodernistischen „christlichen Spiritualität“ lebens- und veranstaltungsmäßig auch nach außen zu wirken, hierzu bestimmte Wertefragen in der Gesellschaft aufzugreifen (wobei die Zusammenstellung bereits ein bestimmtes Mindset erkennen läßt) und sich sogar für Kommunikations-, Werte- und Teambildungs-Workshops in Unternehmen und Organisationen anzubieten, wofür man eine entsprechende professionelle Broschüre erstellt hat.

Der Gründung von mateno ging 2007 ein Besuch von CRM-Präsident Sam Metcalf in Karlsruhe zum gegenseitigen Kennenlernen voraus, über den auf seinem Blog folgendes zu lesen ist:

[Foto von Mark Reichmann und zwei Mitstreitern]

Ich verbrachte neulich mehrere Tage mit diesen üblen Typen [ironischer „Urban Slang“, meint hier „schwer in Ordnung“] in Deutschland, um eine missionale Kommunität südlich von Heidelberg  kennenzulernen. Was wir sahen und erlebten, ist eine faszinierende Fallstudie einer Emerging Church, die in einzigartiger Weise für Europa gemacht ist. Sie wird geleitet und bevölkert von jungen urbanen Kulturschaffenden.

Jede Generation hat solche Männer und Frauen gehabt, aber jetzt, wo die westliche Kultur ins 21. Jahrhundert hineintaumelt, ist die Größe dieser demographischen Klientel beträchtlich und wächst weiter. Die Zukunft der christlichen Bewegung in einem solchen Umfeld wie Europa hängt stark davon ab, wie der überlieferte Glaube sich in dieses kulturelle Milieu hineinhängt und von ihm aufgenommen wird.

[…]

Kommentar von Mark Reichmann am 06.11.2007:

Hey Sam, vielen Dank für deinen Besuch bei uns. Es war ein Vorrecht… unser Kopf und unser Herz sind immer noch schwer am Durchkämpfen durch all das, was du uns hinterlassen hast. Ich freue mich schon darauf, wie all dies ausgehen wird… Laß uns in Kontakt bleiben. Frieden, Liebe und Respekt, Mark

Kommentar von Andrew Jones (Tall Skinny Kiwi) am 06.11.2011:

Ich erkenne meinen guten Freund Mark Reichmann auf dem Foto.

(aus: Sam Metcalf, Blog „Under The Iceberg“, Posting „Urban Cultural Creatives“ vom 04.11.2007 – Übertragung: Torsten Narjes)

Beim Kennenlernen ist es nicht geblieben, wie wir wissen, denn heute ist mateno, dessen Gründung wohl ganz wesentlich durch dieses Treffen „getriggert“ worden sein dürfte, ein fest ins CoNext-Netzwerk integrierter Partner von CRM. Übrigens wird, ganz ähnlich wie bei ServeTheCity in bezug auf CAI, von der mateno-Website aus in keinster Weise die Verbindung zu CRM ersichtlich – mit einer Ausnahme: Auf der Referenzen-Seite der eben erwähnten Broschüre lesen wir:

Profilierung

Beratung für das internationale Netzwerk CRM: Wie kann sich das Netzwerk in verschiedenen Kulturen und Kontexten positionieren?

(aus: mateno und partner, Broschüre, S.6)

Aber wer oder was CRM ist, wird an dieser Stelle für den unkundigen Leser völlig im Dunklen gelassen. narjesus-Blog-Leser wissen aber ab jetzt, was es mit CRM auf sich hat – nämlich daß es sich bei CRM um eine weitere, die Emergentisierung der evangelikal-charismatischen Szene gezielt vorantreibende internationale Organisation mit dem besonderen Schwerpunkt „kontemplative emergent-missionale Kommunitäten“ handelt.

Und ähnlich wie bei CAI kann ich auch hier abschließend nur sagen: Wessen Herz für die Wahrheit des Wortes Gottes sowie die Verbreitung einer gesunden biblisch-christlichen Lehre und Weltsicht schlägt und wer die emergente Bewegung zurückgedrängt sehen möchte, dem kann ich nur dringend von einem Engagement bei CRM und seinen Partnern oder einer anderweitigen Inanspruchnahme dieser Organisationen abraten.

Storytelling – das Wundermittel der „neuen Zeit“ zur sanften Abschaffung der Realität und des Denkens

Von den gesellschaftlichen Schadwirkungen, die mit der wachsenden gesellschaftlichen Akzeptanz des Postmodernismus als oberstem Paradigma und der zunehmenden Verbreitung postmodernistischer Denkweisen vor allem in Politik, Wissenschaft, Kultur und Medien verbunden sind, habe ich bereits in einem Posting im vergangenen Mai ausführlich geschrieben. Symptomatisch und ein Indikator für diesen Paradigmenwechsel ist der Vormarsch des „Storytelling“ in immer mehr Bereichen des öffentlichen Lebensvollzugs zulasten des klaren, analytischen, argumentativen und reflektierenden Denkens.

Als Beleg dafür, daß dies nicht nur „gefühlt“ so ist, sondern es sich dabei um einen realen Trend handelt, der auf einen tiefgreifenden Mentalitätswandel hindeutet, mögen die folgenden unsortierten Zusammenstellungen von Links aus der Geschäftswelt, des „Social Business“ und ( weiter unten) der christlichen Szene dienen, die das ganze Spektrum von der bloßen prominenten Nennung des Begriffs „Storytelling“ bis hin zu erschöpfenden Darlegungen der Unerläßlichkeit von Storytelling in der heutigen Zeit abdecken.

Linkliste 1: Storytelling in der Geschäftswelt und im „Social Business“

In dieser Linksammlung spiegelt sich wider, daß Storytelling auf bestem Wege dazu ist, zum „Wundermittel“ auf dem Gebiet des „Social Engineering“, der internen und externen Unternehmenskommunikation und der Kundenakquise zu avancieren – naturgemäß ganz besonders in der Medienbranche und im sozialen Sektor, aber längst nicht nur dort. Ob es nun darum geht, per Storytelling die eigenen Mitarbeiter bei Laune zu halten oder ganze lokale Gemeinschaften zu „reshapen“: man möchte gerne das Verhalten und Denken anderer Menschen unter Ausschaltung bewußter kritischer Reflexion in die gewünschte Richtung steuern.

Den Hintergrund dafür, daß man dem Storytelling derartige Wunderkräfte zumißt, bildet die sich zunehmend verbreitende postmodernistische Weltsicht mit ihrer Erkenntnistheorie, nach der die Stories unserer lokalen Sprach- und Kulturgemeinschaft die maßgeblichen Wahrheiten und Realitäten erzeugen würden, in denen wir Menschen leben, während es hingegen für uns keinerlei Zugriff auf eine globale Wahrheit und Realität geben würde.

Ein solches Denkumfeld begibt sich jeder Möglichkeit, zwischen Wirklichkeit auf der einen Seite und Manipulation/Fiktion auf der anderen Seite unterscheiden zu können – und zu wollen. Die Grenze zwischen beiden Bereichen verwischt – und wird bewußt verwischt. Jenseits störender Fakten kreieren und inszenieren wir „Wirklichkeit“ und erzählen unsere eigene Geschichte – oder gleich die Geschichte unseres Landes oder unserer Zeit – „neu“.

Auch die teilweise vernichtende Kritik sogar säkularer Philosophen – insbesondere aus dem angelsächsischen Raum – an der intellektuellen und logischen Unredlichkeit des zugrundeliegenden postmodernistischen Denkgerüsts ( mein Posting hierzu) vermag den Vormarsch dieser Tendenzen nicht zu stoppen, was den Journalisten Wolfram Weimer unlängst zu einer Art Weckruf veranlaßte: „Wir schätzen Wahrheiten nicht mehr genug“. Statt Wahrheit und Fakten zählt heute zunehmend die „hohe“ Kunst der (Selbst-)Inszenierung. Ein Indiz des sich vor unseren Augen vollziehenden großflächigen Mentalitätswandels: Während die ohnehin schon sehr hoch bewertete künstlerisch-kulturelle Betätigung von Menschen unaufhörlich im gesellschaftlichen Ansehen steigt und „hip“ ist, sinken im Gegenzug an Fakten orientierte solide Sachpolitik, der Bereich der Sachaufklärung und Analyse sowie der gesamte mathematisch-natur- und ingenieurwissenschaftliche Bereich beständig im Ansehen und erfahren eine teilweise unverhohlene Geringschätzung, ja unterliegen praktisch einem Generalverdacht des grundsätzlichen Instrumentalisiertseins durch verborgene Machtinteressen – ganz nach Art der postmodernistischen Lehre, für die Wahrheiten stets der Ausdruck von herrschenden Machtverhältnissen sind.

Für Christen finden diese Entwicklungen, Veränderungsprozesse und Paradigmenwechsel hinsichtlich der Mentalität und des Denkens nun nicht „auf einem anderen Planeten“ statt, so als hätten diese Dinge rein gar nichts mit dem Bekenntnis zum Glauben an Jesus und einer biblisch-christlichen Weltsicht zu tun, so als könnte man als bekennender Christ unbekümmert diesem Wandel neutral gegenüberstehen oder ihn gar enthusiastisch begrüßen und dabei gleichzeitig im Gottesdienst „Dir gebührt die Ehre und Anbetung“ singen und die Hände erheben. Nein, vielmehr hat Francis A. Schaeffer in seinem Buch „Wie können wir denn leben?“ überzeugend dargelegt, daß die tatsächlichen Gegebenheiten hinsichtlich der Beschaffenheit von Wahrheit, Realität und Erkenntnis nicht nur über das Wesen des Universums, sondern vor allem auch über den Charakter des Gottes, der dieses Universum geschaffen hat und regiert, etwas ganz Grundsätzliches aussagen – und daß das, was dann persönlich über die Beschaffenheit von Wahrheit, Realität und Erkenntnis in unserem Universum geglaubt wird, wiederum Entscheidendes über den geistlichen Standort des Betreffenden und seine Beziehung oder Distanz zu diesem Gott aussagt.

Vor diesem Hintergrund ist es ein Fanal, daß evangelikale Schlüsselfiguren und Werke zu einem beträchtlichen Teil in das neue Paradigma einschwenken und selbst zu Storytellern werden oder Storytelling zulasten eines analytischen und reflektierenden Denkens propagieren. Die folgende Linkliste, deren Einträge praktisch immer auf Verbindungen zur Emergenten Bewegung oder ihrem Dunstkreis deuten, vermittelt kaleidoskopartig einen Eindruck von der zunehmenden Verbreitung dieser Sichtweise:

Linkliste 2: Storytelling in der christlichen Szene, in Theologie, Mission, Lobpreis, Erziehung und in christlichen Magazinen

Statt einer Gesellschaft, die mehr und mehr an der Vertauschung der Realität mit instrumentalisierten „Pseudorealitäten“ erkrankt, das dringend nötige Antidot zu geben, laufen beträchtliche Teile der evangelikalen Szene dem Trend „Storytelling“ sogar hinterher und haben großflächig einen tiefgreifenden Abschied von der Idee einer zugänglichen und belastbaren Wahrheit, Realität und Erkenntnis sowie der Notwendigkeit klaren, reflektierenden und wachen Denkens – und damit letztlich auch von dem dahinterstehenden Gott – eingeleitet. Eine leicht satirische Betrachtung des Gesamtphänomens findet sich in Ron Kubschs TheoBlog in den Beiträgen „Storytelling“ und „Von der Kunst des Geschichtenerzählens“.

Mit dem Storytelling-Paradigma wird inmitten der evangelikal-charismatischen Szene ein von der „Macht interessanter Stories“ faszinierter, wirklichkeitsuntauglicher, dem reflektierenden Denken und den angeblich „toten Aussage-Wahrheiten“ feindlich gesinnter „Glaube“ herangezüchtet, der mit einer tatsächlichen „Wahrheit, die uns freimacht“ (Johannes 8,36), kaum noch etwas zu tun hat und in dem die Warnung von Paulus, daß ohne die Faktizität der Auferstehung Jesu Christen noch in ihren Sünden und damit verloren wären (1.Korinther 15,12-19), wie ein Fremdkörper wirkt.

So fragt man nicht mehr: „Ist es wahr?“, sondern vielmehr: „Ist es schön?“ Der recht begrenzte Wert einer „schönen“ Story, die nicht wahr ist, ist überhaupt kein Thema mehr. So kann, ganz in diesem Geiste, Rob Bell in „Love Wins“ mit dem Argument der „Schönheit einer Story“ indirekt um Sympathie für die Allversöhnungslehre (christlicher Universalismus) werben und die Möglichkeit einer ewigen Strafe und eines ewigen Getrenntseins von Gott zurückweisen, denn: „This isn’t a very good story“!

Telling a story in which billions of people spend forever somewhere in the universe trapped in a black hole of endless torment and misery with no way out isn’t a very good story. Telling a story about God who inflicts unrelenting punishment on people because they didn’t do or say or believe the correct things in a brief window of time called life isn’t a very good story. In contrast, EVERYBODY enjoying God’s good world together with no disgrace or shame, justice being served, and all the wrongs being made right is a better story. It is bigger, more loving, more expansive, more extraordinary, beautiful, and inspiring than any other story about the ultimate course history takes. […]

(aus: Rob Bell, „Love Wins“, S.110-111. Hervorhebungen von narjesus)

An anderen Stellen benutzt Rob Bell eine Sprechweise, die Gott die Rolle des „obersten Storytellers“ zuweist, der uns unser Lebens-Selbstverständnis aus seiner Sicht neu erzählt, und definiert „Glaube“ als unser Vertrauen in dieses „Retelling“ und „Hölle“ als unsere Weigerung, diesem „Retelling“ zu vertrauen:

Hell is our refusal to trust God’s retelling of our story. (S. 170)

We can trust God’s retelling of our story. (S. 176)

(aus: Rob Bell, „Love Wins“ – zu Rob Bells Deutung von Lukas 15,11-32 im Umfeld dieser Zitate wäre noch eine ganze Menge zu sagen, was aber thematisch den Rahmen dieses Postings sprengen würde)

Überhaupt wird christliches Storytelling theologisch fast immer mit der Behauptung gerechtfertigt, daß Jesus bzw. Gott der größte Geschichtenerzähler / Storyteller sei (so auch in einem TheoBlog-Kommentar), und daß die Bibel – gerade auch im Alten Testament – narrative statt aussagenorientierte Theologie präsentiere, ja daß wir dem hebräischen Kontext nur gerecht werden würden und die hebräischen Wurzeln unseres Glaubens nur entdecken würden, indem wir auf jegliche angeblich „griechisch-heidnische“, an Aussage-Wahrheiten orientierte Theologie verzichteten.

Die Gleichnisse und Geschichten Jesu hatten jedoch immer das Ziel, klare, denkerisch begreifbare Kernaussagen vor allem über das Reich Gottes zu verdeutlichen und herauszustellen, oder eine Selbsterkenntnis zur Umkehr zu bewirken. Sie haben mit einem postmodernen Storytelling als Projektionsfläche für die Vorstellungen der Zuhörer, als „story we find ourselves in“, in die wir „eintauchen“ sollen, zur Verwischung der Grenzen zwischen Realität und Fiktion, zur Erzeugung positiver Stimmungen, als Lieferant inspirierender Bilder, zum Ausschalten gedanklicher Reflexion oder zum Neuschreiben von Geschichte nichts zu tun und dürfen nicht damit gleichgesetzt werden.

Ebenso sind die narrativen Stränge im Alten Testament kein Storytelling und wollen nicht bloß inspirierende Bilder liefern, die uns „irgendwie im Leben helfen“, oder eine „Erzählgemeinschaft“, eine „community identity“ schaffen, sondern wollen Berichte über real abgelaufene Geschichte (History) sein, die nur deswegen Konsequenzen zu haben beanspruchen können, weil sie Historie und nicht Stories sind. Nur deswegen konnte beispielsweise Paulus an die Korinther schreiben:

Dies widerfuhr ihnen [den Israeliten] als ein Vorbild. Es ist aber geschrieben uns zur Warnung, auf die das Ende der Zeiten gekommen ist.

(1.Korinther 10,11 – Luther-Übersetzung)

Und ein analytisches, zu „wahr/falsch“-Dichotomien fähiges und an der Korrespondenzsicht orientiertes Wahrheitsdenken als „griechisch-heidnisch“ und „dem hebräischen Kontext fremd“ darzustellen und so zu tun, als würden sich griechische und hebräische Kultur durch eine völlig andere Epistemologie und ein völlig anderes Wahrheitskonzept voneinander unterscheiden, ist absolut unredlich, wie man sich anhand weniger Beispiele aus dem Alten Testament überzeugen kann (dem steht nicht entgegen, daß das hebräische Wort für Wahrheit, „emeth“, auch die Bedeutungen „Treue“ und „Wahrhaftigkeit“ einschließt). So spricht Jesaja 5,20 ein scharfes Wehe aus über diejenigen, die dichotomische Kategorien (gut – böse, Licht – Finsternis, süß – sauer) auflösen wollen, und Bücher wie 1. und 2. Könige sowie 2. Chronik sind voller geistlicher Analysen und kommen zu messerscharfen geistlichen Gesamtaussagen über die Herrschaft der Könige von Israel und Juda von der Art „N.N. tat, was dem HERRN mißfiel / wohlgefiel“; Satzwahrheiten, wie sie klarer nicht sein könnten. Ebenso besteht der Dekalog aus klaren, unzweideutigen Satzaussagen. Nein, hier soll vielmehr eine Kulturscheidelinie der Antike für unsere Zeit instrumentalisiert und epistemologisch aufgeladen werden, um die von Postmodernisten so favorisierte Ablehnung alles Analytischen und Scharfen einschließlich der Erkennbarkeit einer absoluten Wahrheit auch im christlichen Kontext etablieren zu können.

Das hier dargestellte Gedankengut zur Rechtfertigung christlichen Storytellings findet sich in hohem Maße auch in der Magister-Arbeit von Martin Preisendanz (Studienleiter der „Pionierakademie“ Großburschla/Thüringen, Autor mehrerer Beiträge in der emergent-lastigen Zeitschrift „THE RACE“ – heute „oora“ – und vernetzt mit Vertretern der Emergenten Bewegung wie Andi Wolf, „schlunkfunk“ Daniel Renz, Dominik Sikinger und Gofi Müller) wieder, die hier zur näheren Betrachtung aus der obigen Storytelling-Linkliste herausgegriffen werden soll, da sie von Belang ist als umfangreichster, zudem deutschsprachiger und im deutschen Kontext angesiedelter Beitrag dieser Liste im Rang einer wissenschaftlichen theologischen Arbeit, die an der Werkstatt für Gemeindeaufbau (WfG) Ditzingen angefertigt wurde – eine strategisch wichtige Ausbildungsstätte für junge und künftige geistliche Leiter im deutschen Sprachraum, die zumindest partiell emergent geprägt ist, da neben nichtemergenten Mitarbeitern aktuell mindestens vier wichtige Mitarbeiter der WfG zum Netzwerk Emergent Deutschland gehören; neben Studienleiter Dominik Sikinger sind dies die Dozenten Dagmar Begemann, Björn Wagner und Daniel Ehniß, der nach wie vor im Namen der WfG das Blog „Emergentes Gedankengut“ betreibt.

In dieser Magister-Arbeit, die den Nutzen und die Notwendigkeit christlichen Storytellings sowohl theoretisch-argumentativ wie auch durch empirischen Vergleich der Wirkung einer Predigt mit und ohne Storytelling zum selben Thema nachweisen und rechtfertigen will, stoßen wir zunächst wieder auf eine sympathetische Schilderung der bekannten Thesen der Postmodernisten, daß die postmodernistische Deutung von Wahrheit, Realität und Erkenntnis sich in den westlichen Gesellschaften durchsetzt und vor allem das richtige erkenntnistheoretische System ist:

Es wird allgemein akzeptiert, dass zumindest die westliche Welt in eine neue Zeitepoche eingetreten ist – die Postmoderne. […] Solch eine neue Zeitepoche berührt in der Regel mit der Zeit alle Lebensbereiche – manche von ihnen stark, manche stärker und teilweise werden Bereiche völlig transformiert. Einer der bedeutenden (Vor-)Denker der Postmoderne war der französische Philosoph Jean-François Lyotard. […]

Lyotard spricht von einer „Rückkehr des Narrativen“. Sie hängt zusammen mit seiner These des sog. Endes der großen Erzählungen [= Metaerzählungen, Weltanschauungen]. Das Wissen um die Relativität hat das Weltbild verändert. […] Die Pluralität wird zum Kern des Weltbildes. […]

Es sind klare Tendenzen zu erkennen, dass für die postmoderne Generation Schönheit und Ästhetik mehr zählt, als die Erkenntnistheorie. […] Davon betroffen ist auch die Kommunikation. […]

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 28-30)

…womit wir wieder bei dem Phänomen angelangt sind, daß man nicht mehr fragt: „Ist es wahr?“, sondern: „Ist es schön?“ Nirgendwo in Preisendanz‘ Arbeit wird die hinter diesen Phänomenen stehende Denkwelt und Erkenntnistheorie ernsthaft hinterfragt. Das ganze postmodernistische Denken wird nicht nur als gegeben hingenommen, sondern stellt das erkenntnistheoretische Fundament für seine ganze weitere Argumentation dar.

Nun wird der argumentative Rahmen zur Rechtfertigung von christlichem Storytelling aufgebaut: Ausgehend von der unterschwelligen Prämisse, daß die „alten oralen Kulturen“ – worunter auch die hebräische und die urchristliche eingeordnet werden – keine an der Korrespondenztheorie der Wahrheit orientierte, sondern eine Storytelling-Epistemologie hätten, und weil auch wir jetzt – insbesondere durch die neue AV-Medienwelt von MP3 bis AVI, vom Fernsehen über das Internet bis zu iPod, iPad und iPhone – in die Epoche einer „neuen Oralität“ eingetreten seien und uns damit den „alten oralen Kulturen“ wieder annäherten, wird uns die Notwendigkeit eines erkenntnistheoretischen Paradigmenwechsels hin zu einer postmodernistischen Epistemologie suggeriert:

Die kulturellen Veränderungen der westlichen Welt in den letzten Jahrzenten hin zur Postmoderne läuteten eine nach-schriftliche Epoche ein. Mit der Zunahme elektronischer Hör- und Sehmedien begann eine neue Mündlichkeit, bei der Geschichten wieder deutlich an Bedeutung gewinnen. Narrativität ist auf dem Vormarsch. In diesem Zusammenhang ist die Wiederentdeckung des Storytelling zu sehen, das den gezielten Einsatz von Geschichten meint. […]

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 129)

In der Vergangenheit wurde normalerweise sehr logisch und linear gepredigt. […] Der Grund dafür ist die Zeit der schriftlichen Kultur. […] Doch die Kultur der westlichen Welt hat sich verändert.[…] Die elektronischen Medien führten zu einer neuen Sprache und Art der Kommunikation. Die Sprache der Bücher ist eine logische, rationalistische und geordnete. Die elektronischen Medien wie Fernsehen sprechen die Sprache der Geschichten und Emotionen. Ideen wurden durch Bilder abgelöst und Verstehen wurde durch die Erfahrung verdrängt. Deshalb plädiert [Richard A.] Jensen dafür, in Geschichten zu predigen […] sogar […] in Geschichten zu denken. […] Geschichten einzusetzen ist nicht nur eine andere Form der Kommunikation, sondern erfordert eine andere Art zu denken.

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 77-78)

Deswegen ist in der Emergenten Bewegung die Diskussion darüber, wie die „neuen Medien“ die Kommunikation des christlichen Glaubens und vor allem den Glauben selbst verändern würden, auch so beliebt: das Aufkommen der „neuen Medienwelt“ dient als Anlaß und Aufhänger der obigen Argumentation zwecks Rechtfertigung der angeblichen Notwendigkeit des Paradigmenwechsels hin zu einer postmodernistischen Storytelling-Epistemologie.

Klares, logisches, argumentatives, analytisches und reflektierendes Denken sowie ein der Korrespondenztheorie der Wahrheit entsprechendes wahr/falsch-Denken wird demgegenüber gezielt als episodischer Fremdkörper in der menschlichen Geistesgeschichte und vor allem in der christlichen Glaubensgeschichte dargestellt, der entweder auf den – auffallend spät (18.  Jahrhundert) angesetzten – Übergang zur schriftlichen Kultur oder auf das Eindringen „griechisch-heidnischer“ Einflüsse ins Christentum zurückgeführt wird:

Der Prozess von der mündlichen Überlieferung hin zur Schriftlichkeit vollzog sich sehr langsam und in vielen Schritten. […] „Mit großer zeitlicher Verzögerung gelangte dieser Einschnitt auch zu uns, wo die große Mehrheit des Volkes bis ins 18. Jahrhundert hinein in einer mündlichen Kultur lebte […]“ Das Erzählen verlor an gesellschaftlicher Bedeutung, dafür zogen hochkomplexe logische Argumentationslinien und detaillierte Schilderungen Einzug.

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 14-15)

[…] die „heidnisch-griechische Welt, in der der räsonierende Logos den erzählenden Mythos längst verdrängt hatte, führte zum Verlust der ’narrativen Unschuld‘ des christlichen Redens von Gott. Denn nicht ‚der Logos wurde narrativiert, sondern die biblischen Erzählungen wurden … logisiert‘, d. h. in Nicht-Geschichten verwandelt, so dass fortan das ‚Räsonieren und Diskutieren, das Ergotieren und Theoretisieren‘ das Geschäft der Theologie bestimmten.“

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 38)

Es bleibt zu bedenken, dass Geschichten im Gegensatz zur argumentativen Rede nichts beweisen wollen, sondern auf etwas verweisen. Deshalb geht es Geschichten nicht um die Gegensätze von wahr und falsch, sondern sie wollen Phänomene in konkreter Handlung fruchtbar darstellen und ihren Bezug auf die Lebenswirklichkeit verdeutlichen.

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 67)

Die Ablehnung logischen und argumentativen Denkens bei Themen des christlichen Glaubens geht an einer Stelle sogar so weit, daß dort theologisches Reden und Denken, das logische Schlußfolgerungen aus Bibeltexten zieht, praktisch zu einem Verstoß gegen „sola scriptura“ gemacht wird, denn dies wäre der Versuch, die biblische Botschaft aus dem Story-Medium herauszulösen, und dabei würde die Botschaft gleich mit zerstört:

Manche Lehrer beginnen ihren Unterricht damit, eine (biblische) Geschichte zu erzählen, um dann daraus die Theologie in der Geschichte herauszuarbeiten. Damit lösen sie den theologischen Gehalt aus der Geschichte und leiten Dogmen ab. Wenn sie aus Geschichten Theologie ableiten können, dann scheint es, als existierte die Theologie vor der Geschichte. McLuhan argumentiert aber, dass das Medium die Botschaft ist, denn die Botschaft ist im Medium eingebettet. […]

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 78)

Scheint der Autor in der Einleitung (S. 18/21) noch die Auffassung zu vertreten, daß „argumentatives“ und „narratives“ Denken gleich notwendig seien, so ist hier wie auch sonst im Hauptteil nichts mehr davon zu sehen. Die Arbeit ist eindeutig ein Plädoyer für das Storytelling-Paradigma und auf postmodernistische Epistemologie gegründet.

Des weiteren werden in der Arbeit die Wirkungsweise von Storytelling erörtert sowie Unternehmenskommunikation, Neurowissenschaften und Pädagogik bemüht, um die Vorzüge von Storytelling herauszustellen, und dabei heißt es:

Mit einer Geschichte werden rationale Bewertungsmechanismen tendenziell ausgeschaltet. Die Zuhörer lassen sich „ohne Bedenken“ auf eine Geschichte ein, weil die Tatsachen meist in den Hintergrund gerückt werden. Das zeigt sich auch daran, dass die Zuhörer sich entspannen, denn es herrscht kein Druck, sich mit den Inhalten bewusst auseinandersetzen zu müssen. Die Geschichte strömt dann auf sie ein und wirkt unterbewusst.

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 41)

Hat die neue Storytelling-Erkenntnistheorie einmal die Regie übernommen und so lange uns in Erzählungen eingebettet und die Gesetze der Logik außer Kraft gesetzt, daß die Unterschiede zwischen Realität und Fiktion, zwischen wahr und falsch verblassen, dann ist auch ein Erkennen häretischen Gedankenguts oder unseriös begründeter Zusammenhänge nicht mehr möglich, und man nickt innerlich bei Botschaften, denen man bei genauem Nachdenken nicht zustimmen würde. Ein derartiges absichtliches Unterlaufen und Überlisten des bewußten reflektierenden Denkens von Menschen, so daß sie Botschaften vertrauen, denen sie bei überlegtem Nachdenken nicht vertrauen würden, ist ganz sicher nicht „königskindermäßig“!

Paulus hatte dergleichen nicht nötig. Er nahm für sich in Anspruch, mit offenem Visier Menschen vom Reich Gottes zu überzeugen (Apostelgeschichte 19,8) statt sie zu überreden (1.Korinther 2,4). Und nicht nur im Reich Gottes ist eine derartige manipulative Gesinnung nicht wünschenswert. Auch eine Gesellschaft, in der politische Prozesse so ablaufen, ist nicht wünschenswert. Und ein Wirtschaftsleben, das von einer Mitarbeiterführung dieser Art geprägt ist, ist nicht wünschenswert.

Die weitere Rechtfertigung von Storytelling in Preisendanz‘ Arbeit findet ihren Abschluß in einem praktischen Teil, der anhand des Einsatzes zweier Versionen einer Predigt empirisch nachweisen soll, daß  Predigtbotschaften mit einem Storytelling-Ansatz nachhaltiger als mit einem Nicht-Storytelling-Ansatz vermittelt werden können. Die beiden Predigtversionen, auf die sich die Untersuchungen im praktischen Teil der Arbeit beziehen, sind der Arbeit nicht beigefügt, so daß nicht verifiziert werden kann, inwieweit nun tatsächlich ein Storytelling-Ansatz und ein Nicht-Storytelling-Ansatz gegeneinander getestet wurden. Aber unabhängig davon, ob die Untersuchungen nun tatsächlich den gewünschten empirischen Nachweis darstellen können – und wir nehmen jetzt einfach mal an, dies wäre der Fall -, ist folgendes zu bedenken:

Empirie kann, wenn sie richtig angewendet wird (was besonders in Bereichen wie der Evaluation von Pädagogik oder der Demographieforschung ein großes Problem zu sein scheint), einen Ist-Zustand feststellen oder auch Gesetzmäßigkeiten und die Korrelation von Merkmalen nahelegen oder falsifizieren. Doch Empirie kann keine Wertfragen beantworten, keine Antwort darauf geben, ob ein festgestellter Zustand wünschenswert ist oder nicht. Ist der Vormarsch des „Storytelling“-Denkens, von einem biblischen Standpunkt aus betrachtet, überhaupt wünschenswert?  Entspricht es dem der Bibel zugrundeliegenden Verständnis  einer erkennbaren und vom menschlichen Beobachter unabhängig existierenden Wahrheit und Realität? Diese Fragen können nicht an die Empirie delegiert werden, sondern nur aus dem Wahrheitsverständnis der biblisch-christlichen Weltsicht heraus beantwortet werden.

Interessant ist aber, wenn wir einmal der Qualität der Empirie dieser Arbeit vertrauen, auf jeden Fall folgendes Ergebnis:

Die Detailuntersuchung hat weiter gezeigt, dass die Geschichten bei den beiden Altersgruppen bis 40 Jahren besser abgeschnitten haben, während die Auflistung bei den beiden älteren Altersgruppen höhere Werte bekam. Es müsste in Zukunft weiter untersucht werden, inwieweit sich der Generationenunterschied bestätigt oder ob die kulturellen Veränderungen hin zu mehr Narrativität sich auch bei den älteren Menschen niederschlägt.

(Martin Preisendanz, „Storytelling“, S. 130)

Dies erinnerte mich sofort an die Ausführungen meines ehemaligen Pastors Matthias Pache in unserem entscheidenden Gespräch vor 10 Monaten, das zu meiner Absetzung als Hauskreisleiter und anschließend zu meinem Gemeindeaustritt aus der CGHH geführt hat ( mein Posting „Good-bye CGHH – it’s time to part“). Er machte geltend, daß der Postmodernismus in der jungen Generation so vorherrschend geworden sei, daß die Über-40-Jährigen (wie ich, ich bin 45 Jahre alt) die Unter-40-Jährigen vom Denken her – auch in der Gemeinde! – teilweise gar nicht mehr verstehen würden, und daß wir um dieser jungen Generation innerhalb und außerhalb der Gemeinde willen „postmoderne Veränderungen“ in der Gemeinde brauchen. Meine Argumentation, daß diese Verständniskluft Folge der dem biblisch-christlichen Denken widersprechenden gefährlichen Preisgabe der Korrespondenztheorie der Wahrheit und der Infragestellung einer erkennbaren Wahrheit und Realität im Postmodernismus ist und daß die Gemeinde deswegen postmodernistische Tendenzen zurückweisen muß, statt ihnen auch noch Raum zu geben und einen emergenten Gemeindeberater aus Berlin heranzuholen, wurde von meiner ehemaligen Gemeindeleitung in keinster Weise anerkannt oder gelten gelassen.

Die Bedeutung des Alters von 40 Jahren hier wie auch beim obigen empirischen Befund läßt sich leicht dadurch erklären, daß das, was sich in den späten 1990er-Jahren unter den Jugendlichen und jungen Erwachsenen als „Generation X“ manifestierte und bekannt wurde und später auch als die „postmoderne Generation“ bezeichnet wurde, inzwischen – einfach dank des natürlichen Älterwerdens – die „Generation U40“ ist (mir liegt es aber fern zu pauschalisieren: nicht jeder ist vom postmodernistischen Denken geprägt, nur weil er unter 40 ist, und umgekehrt gibt es auch eine ganze Reihe Über-40-Jähriger, die vehement für ein postmodernistisches Denken eintreten). Damit ist die Gefahr, daß postmodernistisches Denken in der nächsten Zeit gesellschaftliche Mehrheiten erzielen könnte, inzwischen beträchtlich gestiegen. Und das sind wahrhaft keine guten Aussichten.

Eine Gesellschaft, die „Storytelling“ in allen Lebensbereichen von Sachentscheidungen bis hin zu Fragen von Ethik, Recht, Geschichtsschreibung und Gesellschaftsordnung zum Leitprinzip erhebt, ist in großer Gefahr, zum Spielball manipulierender Kräfte zu werden und in deren Powerplay unterzugehen. In einer Gesellschaft, die nicht mehr zwischen wahren und fiktiven Stories unterscheiden kann oder will, können auch beliebige Anschuldigungen gegen mißliebige Personen konstruiert und – im Sinne einer „soziologischen Rechtsprechung“, vor der Francis A. Schaeffer gewarnt hat – zur Basis von Gerichtsurteilen gemacht werden. Die Art, wie der ZEIT-Journalist Jens Jessen die Münchner U-Bahn-Schläger von 2008 zu „Opfern“ des zusammengeschlagenen Rentners gemacht hat ( Focus-Artikel „Prügel für die Geprügelten“), gibt eine ungute Vorahnung davon – eine Vision von Gesellschaft, vor der einem nur grauen kann.

Um dies noch einmal zu unterstreichen, soll zum Schluß der für seine Totalitarismus-Dystopie „1984“ bekannte britische Autor George Orwell (1903-1950) mit einem Zitat, das ich bereits in einem anderen Posting angeführt habe, zu Wort kommen:

So etwas läßt mich erschaudern, weil es mir oft das Gefühl vermittelt, daß das Konzept der objektiven Wahrheit aus der Welt verschwindet… Ich bin bereit zu glauben, daß Geschichtsschreibung zum größten Teil ungenau und voreingenommen ist, aber bezeichnend für unsere Epoche ist die Preisgabe des Gedankens, daß Geschichte überhaupt wahrheitsgetreu geschrieben werden kann. In der Vergangenheit haben Leute bewußt gelogen oder unbewußt ihre Darstellungen gefärbt, oder sie jagten der Wahrheit nach, wohlwissend, daß sie dabei viele Fehler machen müssen; aber in jedem Fall haben sie geglaubt, daß „die Fakten“ existieren und – mehr oder weniger – entdeckt werden können.

(George Orwell, zitiert nach: George Englebretsen, Bare Facts and Naked Truths, S. 3 – Übersetzung: Torsten Narjes)

Der Leib Christi hat die Pflicht, gegen eine postmodernistische Storytelling-Epistemologie die biblisch-christliche Sicht der Zugänglichkeit und Erkennbarkeit einer unabhängig vom Beobachter existierenden objektiven Wahrheit und Realität zu bezeugen, statt den Vormarsch der postmodernistischen Epistemologie in der Gesellschaft noch zu unterstützen oder gar in den eigenen Reihen durchzusetzen.

„Haus Berlin“ – und wieder spielt CAI Verstecken

Bei der Durchsicht der Workshops zum Berliner „transforum 2012“ ist es mir zum ersten Mal aufgefallen: Das emergent-missionale Missionswerk Christian Associates International (CAI), das uns in diesem Blog in Verbindung mit der schleichenden Emergentisierung der europäischen christlichen Szene schon mehrfach beschäftigt hat ( mein Posting „Seltsam unbekannte Missionswerke und was sie tun“), bereitet in Berlin ein „ServeTheCity“ vor und versucht sich in Berlin zu etablieren. In der Ankündigung des betreffenden Workshops wurde unter den Verantwortlichen Melinda Means genannt, die bereits seit 2008 bei CAI als Mitarbeiterin für/in Berlin geführt wird und Mitarbeiterin von „ServeTheCity Berlin“ wie auch eines mir zuvor unbekannten „Haus Berlin“ ist. Laut der schon existierenden eigenen Facebook-Präsenz ist „ServeTheCity Berlin“ im September 2011 gegründet worden und hat bereits stundenweise kleinere „ServeTheCity“-Aktionen durchgeführt. Weitere Informationen zu ServeTheCity und den theologischen Hintergründen können meinem Posting zum letztjährigen Bremer ServeTheCity entnommen werden.

Aber was ist nun das „Haus Berlin“? Aufgrund des obigen Zusammenhangs und des Namens nahm ich zunächst an, daß es sich dabei um eine Art Kontaktbüro für CAI- oder ServeTheCity-Aktivitäten oder um ein Dach für soziale Projekte handelt, und forschte nicht weiter nach. Bei einem kürzlichen Besuch des Blogs von Marcus Fritsch, der für CAI in Göteborg tätig ist ( mein Posting „Emergent på svenska“), entdeckte ich nun einen neu hinzugekommenen Link „CA in der Hauptstadt: Haus Berlin“, den ich dann sogleich aufrief. Und zu meiner Überraschung las ich dort unter anderem folgendes:

HAUS BERLIN – Kirche mittendrin
ist ein Gründungsprojekt einer evangelischen Freikirche im Zentrum Berlins.

[…]

Wer verbirgt sich hinter HAUS BERLIN?

[…] HAUS BERLIN wird geleitet von einer gemeinsamen Leiterschaft der beiden Pastoren William Whittenberg und Christine Thumm.
[…] HAUS BERLIN ist ein eingetragener, gemeinnütziger Verein, und ist eingebettet in einen Kreis befreundeter Gemeinden in Berlin unter „Gemeinsam für Berlin“.

(aus: Haus Berlin, Über Uns)

„Haus Berlin“ ist also ein von CAI betriebenes Gemeindegründungsprojekt im Zentrum Berlins. Auf der Website von CAI ist das „Haus Berlin“ zwar noch nicht in die Text-Tabelle, sehr wohl aber in die Kartendarstellung der Westeuropa-Projekte eingepflegt, womit die Urheberschaft von CAI eindeutig belegt ist. Auf der Website wie auch auf der Facebook-Seite vom „Haus Berlin“ wird jedoch – ähnlich wie bei der internationalen ServeTheCity-Website – die CAI-Urheberschaft mit keinem einzigen Wort erwähnt!

Die Gemeinde „Haus Berlin“ betont in ihrem Profil stark das partizipatorische Element, das soziale Engagement (insbesondere mittels der Plattform ServeTheCity), sowie das „Mittendrin“-Sein in den sozialen Zusammenhängen des Stadtteils. Ansonsten bleiben die Aussagen im Profil auffallend vage und schwammig. Da ist die Rede von einer „neuen, modernen Kirche mit alten christlichen Grundüberzeugungen“, davon, „dass es Sinn macht, sich an diesem geistlichen [christlichen] Erbe [unseres Landes] auszurichten und es für die heutige Gesellschaft relevant werden zu lassen“, und schließlich davon, daß „wir […] eine beständige Neuorientierung am christlichen Glauben erfahren“ und „uns als Einladung […] für alle [sehen wollen], die […] uns auf dieser Entdeckungsreise begleiten möchten“.

All diese Formulierungen wirken herrlich „undogmatisch“; man vermeidet im Geiste postmodernistischer „Openmindedness“ bewußt jede Art von klarer Lehraussage oder Ansage zur theologischen Ausrichtung (um nicht mißverstanden zu werden: Eine gesunde(!) Art von Openmindedness und Bereitschaft, sich auf das Leben anderer einzulassen, gehört zum Christsein auf jeden Fall dazu!). Gewiß heißt es im Text auch „Wir glauben an das Evangelium von Jesus Christus“, und man sollte eigentlich denken, daß dieser Hinweis genügt. Leider nicht – wir werden zumindest noch ein Stück weit sehen, warum. Das tatsächliche Ausmaß emergent-missionalen Denkens beim „Haus Berlin“ wird so nicht in vollem Maße sichtbar und bleibt zunächst verborgen.

Die Entstehung dieser Gemeindeneugründung ist nicht ohne einen Blick auf die Biographie der Leiterschaft zu verstehen. Die Leiter der Gemeinde „Haus Berlin“, die aus Süddeutschland stammende spätere Jugendleiterin in der Lukas-Gemeinde Berlin-Schöneberg im Mülheimer Verband, Christine Thumm, und das Ehepaar Sheila Lorene & William Wilson Whittenberg, Gemeindegründer und Absolventen der Baylor University in Waco, Texas, sind in Berlin keine Unbekannten und ein seit Jahren gemeinsam arbeitendes Team. Alle stiegen zum Jahreswechsel 2000/01 in kurzem zeitlichen Abstand in die Leitung der „Jugendkirche Berlin-Marzahn“ ein, ein mit Unterstützung eines OM-Teams in den 1990er-Jehren begonnenes Gründungsprojekt der Lukas-Gemeinde, das inzwischen als „Kirche 43 Marzahn“ eigenständige Gemeinde im Mülheimer Verband geworden ist. Whittenbergs und Christine Thumm verließen 2006/07 im Abstand von einem Jahr die Jugendkirche Marzahn und wechselten anschließend in die Leitung der Gemeinde „Antioch Berlin“, eine 2003 (e.V. 2006) von Van Vandegriff gegründete und geleitete Tochtergemeinde der „Antioch Community Church“ (ACC) aus Waco, Texas, einer missionarischen Gemeinde, die stark Evangelisation und Jüngerschaft durch sich multiplizierende Zellgruppen betont, zahlreiche Gemeindegründungen in und außerhalb der USA initiiert und über 100 Missionare ausgesandt hat. Noch 2008 wirkte William Whittenberg, der ausgebildeter Musiker ist („wilsongs“), an der Lobpreis-Musikproduktion zur ACC-Konferenz „World Mandate 2008“  in Waco mit und wird als Mitglied von Antioch Berlin genannt. 2009 predigte Christine Thumm in einigen MV-Gemeinden in Baden-Württemberg im Hinblick auf ihre Arbeit in Berlin und wurde dabei als Mitglied der Gemeindeleitung von Antioch Berlin angekündigt.

Was dann geschah, ist unbekannt. Jedenfalls trat Van Vandegriff im Juni 2011 als leitender Pastor von Antioch Berlin zurück und bot sich an, weiterhin als Berater von Antioch Berlin zur Verfügung zu stehen, „wann immer es von der Gemeinde gewünscht werde“; jedoch löste sich noch vor Jahresende 2011 die Gemeinde auf, und Van Vandegriff kehrte wieder nach Waco zurück. Vermutlich ebenfalls 2011 wurden Whittenbergs und Christine Thumm CAI-Mitarbeiter (2010 waren sie es jedenfalls noch nicht) und werden als solche auf der CAI-Website geführt, was bedeutet, daß irgendwann zuvor bei ihnen ein geistlicher Umbruch in Richtung emergent-missionaler Theologie stattgefunden haben muß. Ob dieser Umbruch eng mit der Auflösungsphase von Antioch Berlin zusammenhängt, diese ausgelöst hat, ein allgemeiner Prozeß bei Antioch Berlin war oder schon vor Jahren in Marzahn begann, ließ sich bislang nicht feststellen.

Fest steht aber, daß Christine Thumm „schon längere Zeit in Kontakt mit unserem Ök.[umenischen] Arbeitskreis [Prenzlauer Berg] kommen“ wollte – so ein Protokoll desselbigen vom 26.01.2012 -, und daß William Whittenberg, der seit 2010 mit zwei Mitstreitern als Acoustic Indie Jazz/Pop-Band „Black Swans“ musiziert, spätestens seit 2011 eine deutliche Affinität zur Emergenten Bewegung sowie ihren Protagonisten entwickelt hat. Bei der Vorauswahl der Sprecher für die 9-stündige Online-Leiterschafts-Konferenz „The Nines“ vom Leadership Network am 27.09.2011, bei der auch Leute wie Francis Chan, Mark Driscoll und John Piper zur Auswahl standen, stimmte William Whittenberg ausschließlich für die eindeutig emergenten Kandidaten Nadia Bolz-Weber, Tony Campolo, Phyllis Tickle, Tony Jones und Peter Rollins, ihre hierzulande weniger bekannten Mitstreiter Phil Shepherd, Julie Clawson und Andrew Marin, sowie für „Linksevangelikale“ wie den Kritiker des klassischen Evangelikalismus Franky Schaeffer und den Präsidenten von World Vision USA und Autor von „The Hole in Our Gospel“, Richard Stearns.

Seine Frau Sheila, die im Nebenberuf als Montessori-orientierte Englisch-Lehrerin an einer privaten Berliner Grundschule arbeitet, begann im Oktober 2010 – parallel zum Beginn ihres Dienstes als Kinderpastorin noch bei Antioch Berlin – ihren Blog „Explore and Express – Thoughts about children’s spirituality“. Neben der Montessori-Orientierung und der Betonung von Sensorimotorik findet sich auf dem Blog eine auffällige Betonung und starke Ritualisierung bestimmter Traditionen wie beispielsweise der Fastenzeit (englisch: The Lent – wohlgemerkt: nicht Passionszeit), wie man sie gerade in der Emergenten Bewegung findet, eine Empfehlung des Buches „Storytelling with Children“ von der Anthroposophin Nancy Mellon – deren Meinungen sie zwar an einigen Stellen als zu esoterisch empfindet, wobei sie aber dennoch die Grenzen zur Befürwortung postmodernistischen Storytellings als Stimmungserzeuger und Projektionsfläche eigener Empfindungen überschreitet -, ferner in der Blogroll „Interesting Blogs“ ein Link zum Blog „The Drum“ von CAI-Chef Rob Fairbanks (was bei einer CAI-Mitarbeiterin zu erwarten ist) und, äußerst irritierend, unter der Rubrik „Inspirierende Links“ ein Link zu „Christians Practicing Yoga“.

Welchen Wert hat nun angesichts dieser geistlichen Gegebenheiten ein Satz im Gemeindeprofil wie „Wir glauben an das Evangelium von Jesus Christus“? Jeder sollte nun verstanden haben, warum ich oben geschrieben habe, daß ein derartiger Hinweis, für sich genommen, kein hinreichender Indikator für eine biblische theologische Ausrichtung ist. Wir haben hier eine eindeutig emergent-missionale Gemeindegründung, sogar mit der Gefahr fremdreligiöser Einflüsse, vor uns. Passend zum emergent-missionalen Charakter finden wir im Profil unter „Soziales Engagement“ den Satz „Wir glauben, dass Gott die Welt spirituell, sozial und materiell erneuern möchte“, der vom Kontext her sich ganz offensichtlich nicht auf die Wiederkunft Jesu bezieht, sondern vielmehr die typische Reich-Gottes-Theologie der Emergenten Bewegung und der Integralen Mission im Sinne eines mit menschlichen Mitteln vorverlagerten messianischen Friedensreichs widerspiegelt.

Was ist nun künftig beim „Haus Berlin“ zu erwarten? Mit Sicherheit wird es innerhalb der nächsten zwei Jahre eine ServeTheCity-Aktionswoche im Berliner Kiez (oder gar berlinweit unter Beteiligung von „Gemeinsam für Berlin“) geben; die Gruppe dafür ist ja bereits gegründet. Darüber hinaus könnte, je nach Entwicklungsstand der CAI-Aktivitäten in Berlin, auch der CAI-Cheftheologe Andrew Perriman nach Berlin kommen, um mit dem Projektteam das CAI-Programm TREK (“Theological Resourcing for an Emerging Kultur”) durchzuführen. Durch diese Gemeindegründung werden auf jeden Fall die Emergentisierungstendenzen im gegenwärtigen „Gemeindegroßlaboratorium Berlin“ weiter beschleunigt.

An dieser Stelle möchte ich noch einmal jeden bekennenden Christen, dem die Wahrheit des Wortes Gottes sowie eine gesunde biblisch-christliche Lehre und Weltsicht als Basis für das eigene Leben, die Aktivitäten der Gemeinde sowie das missionarische und gesellschaftliche Engagement am Herzen liegt, dringend vor einem Engagement bei CAI und seinen Initiativen (ServeTheCity, novavox) warnen. Wer an CAI andockt, wird theologisch emergentisiert, und wer CAI unterstützt, fördert damit die emergente Unterwanderung der christlichen Szene einer Stadt.